„Luft zum Atmen schaffen, für Freiräume sorgen, Begegnungen ermöglichen“. Diesem Leitmotiv folgt die seelsorgliche Begleitung von Menschen, die für eine bestimmte Zeit jenseits des normalen Alltags leben. Die Arbeit mit Menschen in Untersuchungshaft und Strafgefangenen ist dabei mit ganz besonderen Anforderungen verbunden. Vielen Betroffenen macht die Konfrontation mit der eigenen Situation, in Haft und eingesperrt zu sein, enorm zu schaffen. Fast immer stehen dabei elementare Existenzfragen im Vordergrund. Verliere ich meinen Arbeitsplatz durch die Haft? Wie geht mein Leben weiter? Was macht die Haft mit mir und meinem sozialen Umfeld? Werde ich meine Familie verlieren? Was passiert mit meiner Wohnung?
Der Arbeitsplatz der Gefängnisseelsorge als geistlich begleitendem Dienst der Kirche ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart, die im Stuttgarter Stadtteil Stammheim liegt, dem nördlichsten Stadtbezirk der Landeshauptstadt. Sie ist mit durchschnittlich 1200 Insassen die zweitgrößte von insgesamt 17 Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg. Zum Team, das für die Gefangenen, deren Familien und die Bediensteten der JVA gleichermaßen Anlaufstelle ist, gehören derzeit eine Ordensschwester sowie zwei evangelische Kollegen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Einzelgespräche mit den Betroffenen, die unabhängig von Religionszugehörigkeit und kulturellem Hintergrund geführt werden. Nicht selten bringen es die Gefängnisgeistlichen auf zehn Gespräche am Tag und mehr. Parallel dazu bieten sie auch Gruppenarbeiten an, beispielsweise Gitarrenkurse oder einen Bibelkreis, begleiten sie Häftlinge bei Ausgängen, gestalten Familientage und organisieren Freizeitangebote.
Zeit mit der Familie und Angehörigen verbringen zu können, ist für viele Gefangene und ihr Seelenheil von enormer Bedeutung. Daher bemühen sich die Gefängnisseelsorger auch vielfach darum, neben den zwei Regelbesuchen im Monat zusätzliche Sonderbesuche zu ermöglichen und den Insassen so wertvolle Stunden im Kreis der für sie wichtigsten Menschen zu schenken. Zudem unterstützt der seelsorgliche Dienst die Gefangenen und deren Angehörige immer wieder bei finanziellen Engpässen, um etwa Kleidung anschaffen zu können. Auch der Glaube spielt in Haft eine wichtige Rolle: Jedes Wochenende werden fünf bis sechs Gottesdienste in der JVA gefeiert, dazu liegen Bibeln in allen Sprachen und Rosenkränze aus. In den Gesprächen mit den Seelsorgerinnen und Seelsorgern geht es immer wieder auch um die Auseinandersetzung mit Schuld und um die Frage, ob Gott Menschen, deren Leben auf die schiefe Bahn geraten ist, lieben kann. Die Botschaft, dass Gott alle Menschen bedingungslos liebt, kann dabei helfen, den Weg heraus aus zerstörendem Selbstzweifel zu finden.
Bedarf an seelsorglicher Begleitung haben aber auch die Angestellten in der JVA Stuttgart, die in ihrem Arbeitsalltag oft hohen Belastungen und Extremsituationen ausgesetzt sind. Zu den Schwierigkeiten gehören einerseits sprachliche Hürden, zudem haben sie immer wieder mit frustrierten oder aggressiven Gefangenen zu tun. Daher bieten die Gefängnisseelsorger auch den Angestellten persönliche Gespräche sowie Fortbildungen zu den Themen Kommunikations- und Konflikttraining an.