Interview mit Younia Hilbert

„Die Papstreise in den Irak ist für uns Chaldäer ein historisches Ereignis“

Papst Franziskus ist in den Irak gereist. Es ist der erste Besuch eines Papstes in dem von Gewalt, Bürgerkriegen und Terror gezeichneten Land. Younia Hilbert ist Pastoralrätin und Subdiakonin in der chaldäischen Gemeinde in Stuttgart. In der Kirche St. Paulus in Rohracker versammeln sich jeden Sonntag und auch unter der Woche viele Christen zum Gottesdienst, die vor der Gewalt aus dem Irak geflohen sind. Die Papstreise ist für viele von Ihnen ein historisches Ereignis. Younia Hilbert erzählt im Interview, was die Reise des Papstes in ihr Heimatland für sie und für die Gemeinde bedeutet.

Frau Hilbert, wie finden Sie es, dass Papst Franziskus jetzt in den Irak reist?

Für uns Christen ist die Papstreise ein historisches Ereignis. Noch nie hat ein Papst unser Land besucht, deshalb ist der Besuch für uns Christen ein historisches Ereignis. Und natürlich auch eine große Freude, denn der Papst wird auch das Land Abrahams in Mesopotamien besuchen. Damit rücken die chaldäischen Christen, ihre Geschichte und die gegenwärtige Realität in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Dieser Besuch wird hoffentlich für eine längere Zeit das Gespräch der Menschen in der ganzen Welt sein, denn zum ersten Mal wird die Welt Bilder der Brüderlichkeit, des Gebets und Freude der Menschen im Irak sehen. In den vergangenen rund 40 Jahren hat die Weltöffentlichkeit nur Bilder von Kriegen, Zerstörungen und Morden aus dem Irak gesehen.

Kommen sie selbst aus dem Irak?

Ja, ich stamme aus dem Norden, seit 1986 lebe ich in Deutschland. Mein Mann ist Deutscher, er stammt aus Hamburg. Ich habe meinen Mann in Bagdad kennengelernt, dort haben wir geheiratet und ich bin mit ihm nach Deutschland gekommen. Ich habe also keine Flucht erlebt.

Wie ist die Situation der Christen im Moment im Irak?

Da ich seit langem in Deutschland lebe, kann ich dazu nur aus der Ferne etwas sagen. Wir Chaldäer stehen in ständigen Kontakt mit der Heimat. Nach den jüngsten Aussagen unseres Patriarchen leiden die Christen immer noch unter politischer, wirtschaftlicher und religiöser Bedrohung. Es wird immer versprochen, dass sich etwas ändern wird, aber die Versprechen werden nicht eingehalten. Seit 2003 wurden mehr als 1200 Christen getötet und keiner weiß warum, weshalb, von wem. Tausende von Christen wurden entführt, nur wenige wurden wieder freigelassen und auch das nur gegen Lösegeld. Viele tausend Christen haben ihre Heimat verlassen, um in der Fremde in Sicherheit leben zu können. Mehr als 25.000 christliche Besitztümer wurden gestohlen oder einfach einem anderen Menschen übertragen. Die politischen Kräfte, die dem IS damals geholfen haben, sind immer noch in Machtpositionen im Irak. Die Christen sind machtlos.

Seit dem Jahr 2000 ist ungefähr die Hälfte der 1,3 Millionen Christen inzwischen außer Landes gegangen – einfach weil die Menschen Angst haben, dort zu bleiben.

Das stimmt, auch meine Familie hat aus Angst vor weiteren Gewalttaten und Repressionen den Irak verlassen. Ich habe acht Geschwister, die alle mittlerweile in Amerika leben. Meine Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen leben auf vier verschiedenen Kontinenten und wir schaffen es nie wieder zusammenzukommen. Vielen Familien geht das so.

Was erhoffen sie sich jetzt für die Christen im Irak durch diesen Papstbesuch?

Ich hoffe, dass endlich die Probleme der Menschen im Irak der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt werden und dadurch Gespräche angestoßen werden, die eine Verbesserung der Lebensumstände für die Christen mit sich bringen. Der Besuch ist für uns ein Zeichen des Friedens und eine Botschaft an die noch dort gebliebenen Christen. Es soll ihnen Hoffnung und Zuversicht geben, im Land zu bleiben - nach allem, was sie an Kriegen, Beleidigungen und Misshandlungen durchlebt und erlitten haben. Außerdem soll die Papstreise auch ein besonderes Zeichen des Dialogs zwischen den verschiedenen Religionen, ein Zeichen für das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Gruppierungen der irakischen Gesellschaft setzen. Im Irak leben nicht nur Muslime und Christen, es gibt viele verschiedene Religionen, Konfessionen, Zugehörigkeiten. Im Irak leben Kurden, Araber, Jesiden. Vielleicht wird er Papstbesuch zu einem Friedenszeichen für alle.

Die überwiegende Mehrzahl der Iraker sind Muslime. Wie wichtig ist denn das Treffen von Papst Franziskus mit Ayatollah Ali al-Sistani? Wie wichtig wird es sein, dass sich die beiden Religionsführer treffen?

Wir hoffen, wenn die zwei Religionsführer sich treffen und über Probleme sprechen, dass damit Streitigkeiten aus der Welt geschafft werden. Wir hoffen es.

Es soll auch ein Gebet ausdrücklich für die Opfer des Krieges geben. Wie wichtig wird das sein?

Sehr wichtig. Das Gebet findet in einer sehr alten, durch den Islamischen Staat zerstörten Kirche in der Ninive-Ebene statt. Die angrenzende Stadt Mossul ist zurzeit christenfrei. Seit 2014 wurden die Christen systematisch aus der Stadt und den Dörfern vertrieben, die in der Ninive-Ebene liegen. Das Gebet für die Opfer des Krieges wird bei vielen Menschen eine große Trauer hervorrufen. Auch in unserer Stuttgarter Gemeinde haben wir viele Mitglieder, die aus Mosul stammen. Darunter sind auch Menschen, die in der damaligen, noch heilen Kirche Gottesdienste gefeiert oder dort ministriert haben. Also ich werde vielleicht nur weinen, wenn ich das Gebet sehe, das der Papst in der zerstörten Kirche halten wird.

Der Papst kommt in ein Land, das ganz biblisch ist, in die Heimat von Abraham ist. Das ist schon etwas ganz Besonderes.

Natürlich, wie gesagt, für uns ist es ein historisches Ereignis. Die Geschichte wiederholt sich, vor 2000 Jahren ist der Apostel Thomas zu uns nach Mesopotamien gekommen, heute kommt der Papst als der Nachfolger von Petrus. Das kann man gar nicht in Worte fassen.

Haben Sie die Angst, dass es Anschläge durch den IS geben könnte?

So ein Besuch ist natürlich mit Risiken verbunden, aber wir hoffen, dass die Gastgeber in Bagdad sowie in Erbil im Nordirak alles gut organisiert haben und für die Sicherheit sorgen. Aber wenn es zu Anschlägen kommen würde, dann wäre das natürlich eine Katastrophe, die neue Gräben zwischen den Religionen wieder aufwerfen würde. Wir hoffen, dass alles friedlich verlaufen wird, dass die Menschen sich freuen, ob in Bagdad oder anderswo. Geplant sind große Gottesdienste in Bagdad und in einem Fußballstadion in Erbil, der Hauptstadt von Kurdistan. Wir hoffen sehr, dass alles friedlich verläuft.

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