Sebastian Schmid zu St. Maria

„Der heilige Raum ist kein geschlossener Raum“

Die Kirche St. Maria hat ihre Türen weit geöffnet. In den nächsten Jahren soll sich die Kirche in der Tübinger Straße weiter zu einem Ort der Vernetzung und des Dialogs entwickeln. Der Theologe und Künstler Sebastian Schmid kümmert sich seit Jahresbeginn um dieses besondere Gotteshaus und die Veranstaltungen, die dort stattfinden. Der 47-Jährige wird Kontakte in den Stadtteil hinein knüpfen und mit den Menschen zusammen neue Ideen für Veranstaltungen, Workshops, Lesungen und Konzerte entwickeln. Neben dem Spirituellen Zentrum station s, dem Jugendpastoralen Zentrum YouCh und den kirchenmusikalischen Zentren soll St. Maria zu einem weiteren kirchlichen Ort mit einem besonderen Schwerpunkt weiterentwickelt werden.

Vor vier Jahren haben die Gemeinde St. Maria und das Stadtdekanat die Menschen in der Stadt gefragt: Wir haben eine Kirche – haben Sie eine Idee? „St. Maria als“ war der Slogan, den viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter weitergesponnen und sich mit ihren Ideen beteiligt haben. Angeregt von den zahlreichen Vorschlägen hat es seit dem Beteiligungsprozess in St. Maria viele Konzerte, Lesungen, Performances und Ausstellungen gegeben, haben die Barber Angels Menschen mit wenig Geld kostenlos die Haare geschnitten, haben Foren zur Mobilität der Zukunft stattgefunden, Stadtplaner sich Gedanken gemacht, wie nachhaltige Städte aussehen können und Ehrenamtliche haben vor der Kirche Lebensmittel verteilt, die sonst im Müll gelandet wären.

Der Theologe Sebastian Schmid wird zum Kurator

Seit Jahresbeginn nun ist es der Pastoralreferent Sebastian Schmid, der sich Gedanken macht, was in St. Maria in Zukunft so alles stattfinden wird und wie St. Maria als Kirche des Dialogs und der Vernetzung in einer säkularen Großstadt wie Stuttgart etabliert werden kann. Der 47-Jährige Familienvater kann sich vieles vorstellen: Ausstellungen, Kunstwerkstätten, Theateraufführungen und liturgische Performances, genauso wie karitative Projekte. Die Frage, wie eine Kirche genutzt, gefüllt und bespielt werden kann, ist Teil des Konzepts und zeigt sich auch im Namen. So wird die Kirche inzwischen auch ganz offiziell als „St. Maria als“ bezeichnet, um damit gleich im Titel die Frage zu stellen: Als was kann die Kirche genutzt werden? Als Veranstaltungsort, als Gottesdienstraum, als Kulturgut, als Atelier? Als Warteraum?

Start mit einer Einführung in die Kunst des Wartens

Auch das. Denn fürs Erste lädt Sebastian Schmid die Menschen zum Warten ein. Und zwar ganz konkret: Jeden Freitag in der kommenden Fastenzeit wird er um 17 Uhr mit einem kurzen gottesdienstlichen Impuls in die Kunst des Wartens einführen, und anschließend die Besucherinnen und Besucher dazu auffordern, nichts weiter zu tun, als sich einen Ort in der Kirche zu suchen und sich Zeit zu gönnen. Wo man will und so lange man will. „Im 21. Jahrhundert geschieht alles gleichzeitig und man ist sieben Tage, 24 Stunden lang erreichbar. Man versucht, Wartezeiten zu vermeiden. Aber was hat eine Gesellschaft zu erwarten, die das Warten vermeidet?“, so der Theologe, der in der Fastenzeit einen Umkehrimpuls setzen will. Einladen, einfach mal zu warten, vielleicht ohne zu wissen, worauf. Und natürlich hat das auch eine persönliche Seite: „Ich frage mich, was von mir in dieser Rolle des Kurators erwartet wird. Bevor ich mir diese neue Aufgabe erarbeite, will ich sie mir erwarten. Das heißt: Zeit lassen, hören, Gott einen Freiraum zugestehen, ankommen, Sehnsüchte entstehen lassen.“

„Der heilige Raum ist kein geschlossener Raum“

Welche Veranstaltungen in St. Maria in den nächsten Monaten stattfinden werden, immer sollten diese im Kern Fragen des Glaubens, des Zusammenlebens, der Stadtgesellschaft oder der Zeit berühren. Dabei ist Sebastian Schmid bewusst, dass es im Einzelfall auch kontroverse Auffassungen geben kann. „Wir haben es hier mit einem heiligen Raum zu tun, mit einem Raum des Gottesdienstes und des Gebets. Gleichzeitig ist der heilige Raum kein geschlossener Raum. Wenn man an einen Gott glaubt, der quasi im Freien in einer Krippe auf die Welt gekommen ist, kann man das Heilige nicht einfach irgendwo einschließen. Wie viel Offenheit und wie viel Geschlossenheit brauchen wir, damit wir uns selbst treu bleiben? Wir müssen bereit sein, diese Diskussionen und diesen Dialog offen zu führen.“

Atelierkirche bringt Kunst und persönlichen Glauben zusammen

Als Künstler und Theologe hat Sebastian Schmid in den vergangenen Jahren mit der Atelierkirche bereits ein eigenes Format entwickelt, das Kunst und persönlichen Glauben zusammenbringt und das Grenzen auslotet. In der Atelierkirche setzen sich die Menschen mit einem Bibelzitat, dem Tagesevangelium, einem Psalm oder einem zeitgenössischen Kunstwerk auseinander und zwar nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen. „Da entstehen mal großflächige Bilder, mal kleine Skulpturen, gemalte oder geschriebene Fürbitten, auch wenn es nicht darum geht, Kunst zu schaffen. In der Atelierkirche geht es darum, seinem ganz persönlichen Glauben Ausdruck zu verleihen und sichtbare Spuren zu hinterlassen“, sagt Schmid. Während bei anderen Gottesdiensten genau vorgegeben sei, was zu tun ist, lasse die Atelierkirche den Menschen viele Freiheiten und viel Raum für Ausdrucksformen des Glaubens. Diese spielerische und künstlerische Herangehensweise möchte Sebastian Schmid auch auf die Arbeit in St. Maria übertragen: „Wir werden auch hier die Atelierkirche anbieten und wir werden mit anderen liturgischen Formen, aber auch mit Veranstaltungsformaten experimentieren.“ Schmid selbst hat nicht nur Theologie und Sozialpädagogik studiert, sondern auch eine Weiterbildung zum Playing Artist absolviert.

„Ich freue mich auf das Programm, dass in St. Maria entsteht“

Der Theologe wird in St. Maria nicht nur eigene Angebote machen, sondern vor allem auch mit den Menschen ins Gespräch gehen, die in der Kirche etwas anbieten möchten, von der kulturellen Veranstaltung bis zum Workshop. „Ich freue mich auf die Ideen und Vorschläge, die kommen. Und ich freue mich auf das das Programm, das entstehen wird.“ Allerdings werde es nicht ausreichen, einfach zu sagen, das ist eine tolle Location, da möchte ich mit meiner Veranstaltung rein. „Wir möchten, dass St. Maria zu einem inspirierenden Ort wird, dass Impulse für die Stadt und für die Stadtkirche von St. Maria ausgehen“, sagt Sebastian Schmid und lässt sich auch dadurch nicht bremsen, dass für die neogotische Marienkirche Renovierungen anstehen:  Der anstehende Umbau ist eine riesige Chance, diesem bundesweit einzigartige Kirchenkonzept sogar architektonisch gerecht werden zu können. Es ist ein seltener Glücksfall in der Kirchengeschichte, wenn ein neues Kirchenverständnis von den Menschen vor Ort, den Playern von Kultur und Gesellschaft zusammen mit  der Kirchenleitung und Architekten im Dialog entwickelt wird.“

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