Interview mit Pfarrer Heil

Der Kirche den Spiegel vorhalten

Schwestre, Briadre, Christeleit, des geit a andre Predigt heit. Es wird, bevor die Fasnet sich erledigt, in Reimen heute hier gepredigt.“ So beginnt traditionell die Narrenpredigt von Pfarrer Michael Heil (44) am Fasnetsonntag. Dieses Jahr hält er sie, natürlich wieder in Reimform und verkleidet, zum sechsten Mal in seiner Pfarrgemeinde Sankt Georg in Stuttgart – diesmal, coronabedingt, allerdings vor weniger Gottesdienstbesuchern, aber dafür mit Livestream ins Netz. Im Interview erzählt er, wie eine Narrenmesse abläuft, was es mit Narrenfreiheit und Spiegelvorhalten auf sich hat und warum er es genießt, einmal im Jahr in eine ganz andere Rolle zu schlüpfen.

Fällt die 5. Jahreszeit dieses Jahr aus?

Die Fasnet findet zwar nicht auf der Straße, aber sehr wohl in den Herzen der Menschen statt. Wir haben bei uns in der Narrenzunft zum Beispiel ein ganz tolles Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl.

Auch in diesem Jahr und so ganz ohne gemeinsame Narretei?

Gerade in diesem Jahr. Wir machen Fasnet digital. Neulich hat jemand sein Fotoalbum aufgeschlagen und in der Whatsapp-Gruppe Bilder von vor 20 Jahren geteilt. In anderen Jahren lebt man für den Moment – jetzt kramt man in Erinnerungen. Das ist auch spannend. Außerdem schicken wir uns Whatsapp-Videos, wie wir im Wohnzimmer im Häs rumhopfet. Wir erleben Fasnet also trotzdem gemeinsam, nur eben anders.

Anders geht’s an der Fasnet ja auch in der Kirche zu, in der Sie predigen.

Da bin ich der Narr. Und ein Narr hat das Recht, der Welt den Spiegel vorzuhalten. Als Pfarrer ist man ja grundsätzlich dazu verpflichtet, nicht gegen die Institution, gegen das, was wir lehren und verkündigen, aufzutreten.

Diese Regel gilt dann nicht mehr?

An diesem einen Tag im Jahr darf ich auch der Kirche den Spiegel vorhalten. Und das koste ich dann natürlich auch aus.

Was sieht die Gemeinde, wenn sie in des Narren Spiegel schaut?

Da kommen zum Beispiel die Frauen zu Wort. Oder ich spreche über Regeln, die nicht so einleuchtend sind. Es geht aber auch um Lokalkolorit und die Stadtpolitik, die ich gern aufs Korn nehme.

Fällt Ihnen denn da immer wieder was Neues ein?

Jedes Jahr gibt es ein Jahresthema. Weil ich dieses Jahr am 14. Februar predige und da Valentinstag ist, verkleide ich mich heuer als Valentin und werde über die Liebe sprechen.

Heikles Thema in der katholischen Kirche.

Ganz und gar nicht. Die Predigt steht noch nicht ganz, aber es wird auf jeden Fall um Beziehungen gehen. Wie immer im Leben, und so natürlich auch in der Kirche. Und es geht um unsere Beziehung zu Gott, der ja von sich behauptet, er sei die Liebe und universell.

Die Liebe in Zeiten der Pandemie?

Unsere Beziehungen haben sich durch Corona ja sehr verändert. Ist das noch Liebe, die wir da spüren? Oder müssen wir auf Spurensuche gehen, jetzt da wir diese Momente der Liebe entdecken? Was würde Valentin sagen, wenn er Gott begegnen würde?

Was sagen Sie den Menschen, die in Ihren Gottesdienst kommen?

Ich werde Ihnen sagen, dass wir Corona getrotzt haben. Dass wir viele Begegnungen verloren haben, aber dass viele auch neu gewachsen sind. Zum Beispiel war unsere Sternsinger-Aktion der Ehrenamtlichen ganz wunderbar. Also werde ich über Gelungenes und Gelingendes der letzten Wochen sprechen.

Also bleiben Sie doch bei der guten Nachricht?

Nein, denn als Narr darf man auch weinen: Und so werde ich all das beweinen, das nicht mehr möglich und das verlorengegangen ist. Dass sich die Senioren nicht mehr treffen können und sich so sehr vermissen. Dass die Ministranten alle verschwunden sind, wo wir doch so eine schöne Mini-Arbeit hatten.

Die Ministranten durften in den vergangenen Jahren ja immer verkleidet ministrieren. Was gehört denn noch zur klassischen Narrenpredigt?

Eine besondere Musik. Wir haben immer eine aufgestockte Jazzband mit Posaune, E-Bass, Orgel und Schlagzeug. Die Musiker setzen sich eine rote Nase auf und machen Fasnetsmusik. Dann erklingt von der Orgel „An der schönen blauen Donau“ oder der „Wiener Walzer“. Da darf dann in der Kirche auch mal geschunkelt werden.

Dabei ist Stuttgart ja nun nicht gerade als Fasnets-Hochburg bekannt.

Die Kirche ist bei den Narrenpredigten trotzdem immer voll besetzt. Die Leute verkleiden sich – zwar nicht alle, die Stuttgarter sind da tatsächlich a bissle päp, wie man bei uns sagt – aber vor allem die Kinder. Und die Stimmung ist phänomenal.

Wie kamen Sie überhaupt zum Reimen?

Die Narrenpredigt ist eine gute alte Tradition, in der ich großgeworden bin. Ich komme ja aus Weil der Stadt, einer Fasnets-Hochburg hier im Südwesten. Unser Heimatpfarrer hat jedes Jahr zum Fasnetsonntag eine Reimpredigt gehalten – ich fand das immer cool. Als klar war, dass ich selbst Mitglied in der Zunft und Pfarrer bin, wurde ich gefragt, ob ich’s nicht auch mal probieren will.

Wie lange schreibt man denn an so einer Narrenpredigt?

Es kostet mich fast vier Wochen Vorbereitungszeit. Ich habe einen hohen Anspruch an die Metrik und das Versmaß. Das dauert lang und ist dann – wie die Fasnet – so schnell wieder vorbei!

Und nach der Messe geht’s dann direkt auf die Gass?

(lacht). Richtig. Das hat sich in Sankt Georg schon rumgesprochen. Beim Auszug ziehe ich die Schellen an und gehe hopsend durch den Mittelgang – das wird man mir verzeihen, hoffentlich! Aber die Leute wissen schon: Am Fasnetsonntag nach der Narrenpredigt springt der Pfarrer im Häs ins Auto und fährt sofort weg, weil er um 14 Uhr auf dem Umzug sein muss. Die Leute sagen dann: „Halt ihn nicht auf, halt ihn nicht auf! Er muss zum Auto und fährt gleich weg!“

In was für einem Häs stecken Sie denn?

In einem Weißhäs. Die Grundlage ist ein Leinenstoff, der dann bemalt wird. In meiner Heimatstadt Weil der Stadt gibt es dafür nur eine einzige Gruppe: die Schlehengeister. Es gibt zwei Figuren: die „Weibchen“ und die „Männchen“. Ich trage die Männermaske und wir Männer treiben beim Umzug Unfug mit den Menschen. Die Frauen haben eine lieblichere, leichtere Larve und die schöne Aufgabe, das dann wieder gut zu machen: Sie verteilen Süßigkeiten an die Kinder und Schnaps an die Erwachsenen.

Abseits von Schabernack, Kehraus und Narrenpredigt: Was bedeutet die Fasnet für Sie ganz persönlich?

Ach, ich nutze die Fasnetszeit in zweierlei Hinsicht: Einerseits kann ich durch das Springen in der heimischen Zunft immer wieder neu an meine Wurzeln andocken. Andererseits habe ich in diesen Wochen die Chance, in meinem sonst doch eher streng geregelten, eng getakteten Leben mal die Grenzen auszuweiten und in eine andere Rolle schlüpfen. Ich habe ja ein sehr aufwendiges Häs, das man nicht mal eben kurz anzieht. Das „Ahäsa“ dauert fast zehn Minuten und ist fast wie eine Art Ritual. Ein Hineingehen in die Rolle, in eine Figur, die eine Geschichte hat. Das alles dann auch noch auf die Straße zu tragen und sich bewusst zu sein, dass man hier eine alte Tradition pflegt, ist einfach toll.

 

Michael Heil ist Pfarrer in der Kirchengemeinde St. Georg in Stuttgart. Der 44-Jährige kommt aus der Fasnetshochburg Weil der Stadt und ist Mitglied der Narrenzunft "AHA", die die UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt hat. 2003 trat er in den kirchlichen Dienst. Seitdem hat er schon 14 Narrenpredigten gehalten.

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