TrauerZentrum in Degerloch

„Gegen Trauer hilft nur trauern“

Der November gilt als Trauermonat: Die Blätter fallen, die Tage werden kürzer, die Einsamkeit in der Trauer nimmt zu. Im TrauerZentrum der Katholischen Kirche Stuttgart, das im März 2023 in der Karl-Pfaff-Straße in Degerloch eröffnet wurde, findet Trauerbegleitung das ganze Jahr über statt. Hier begleiten qualifizierte Trauerbegleiterinnen Menschen jeden Alters auf ihrem individuellen Trauerweg. „Trauer braucht ein Gegenüber, braucht Zeit und Raum. Die Trauernden fühlen sich in diesen Räumlichkeiten gut geschützt“, berichtet Juliane Löffler, Leiterin des TrauerZentrums.

Gruppenbild: Team des TrauerZentrums
Das Team des TrauerZentrums (v.l.n.r): Daniela Kanzleiter, Sibylle Bossert, Britta Bosch, Sandra Fischer und Juliane Löffler

Das TrauerZentrum gehört zum Hospiz St. Martin, das nur fünf Gehminuten entfernt ist. In den neuen Räumen im Alten Pfarrhaus, direkt neben der Kirche Mariä Himmelfahrt, wird die Trauerarbeit weiter ausgebaut. Es gibt neue Angebote, wie „Leere Wiege: Von Sternenkindern Abschied nehmen“, „Trauer am Arbeitsplatz“ und „Trauersensibles Yoga“. „Viele Menschen fühlen sich erstarrt in ihrer Trauer, durch Bewegung können sie wieder zu sich kommen“, erzählt Koordinatorin und Trauerbegleiterin Daniela Kanzleiter. Auch in der kunsttherapeutischen Begleitung finden die Trauernden eine Möglichkeit, ihre Trauer auszudrücken. „Das, was tief in einem drin ist, kann durch Kunst ausgesprochen werden“, berichtet Sandra Fischer. „So findet unterbewusst eine Verarbeitung statt, ohne dass man dafür Worte finden muss. Bei der Arbeit mit Pastellkreiden und Ton etwa kommt man gut an die Gefühle heran“, weiß die erfahrene Kunsttherapeutin.

Seelencafé ab Sonntag, 24. November 2024

Drei ehrenamtliche Trauerbegleiterinnen starten am 24. November mit dem „Seelencafé“. „Sonntage sind oft eine sehr einsame Zeit für Trauernde, deshalb ist es besonders toll, dass das Seelencafé immer an diesem Tag geöffnet sein wird“, sagt Juliane Löffler. Jeden vierten Sonntag im Monat verwandelt sich das TrauerZentrum von 14.30 bis 17 Uhr in ein Café. Bei Kaffee und Kuchen können in entspannter Atmosphäre Begegnungen und Gespräche stattfinden.

„Durch den Tod ändert sich das Familiensystem“

Der Erstkontakt zum TrauerZentrum erfolgt meist per E-Mail, oft fällt es den Trauernden noch schwer zu sprechen. „Behutsamkeit ist uns sehr wichtig“, betont Juliane Löffler. Je nach Lebensphase gibt es unterschiedliche Angebote. Beispielsweise für junge Erwachsene, für verwaiste Eltern oder für ältere Verwitwete. Auch kommt es vor, dass mehrere Menschen aus einer Familie nach einer Begleitung suchen. Wichtig ist den Mitarbeiterinnen des TrauerZentrums dann, dass die Begleitungen durch verschiedene Menschen erfolgen. „Durch den Tod ändert sich das Familiensystem. Die Menschen brauchen Raum, um ihre neue Rolle zu finden. Es ist wie ein Mobile, das aus dem Gleichgewicht kommt, wenn man eine Schnur abschneidet und ein Teil fehlt“, erzählt Sibylle Bossert. Die Koordinatorin und Trauerbegleiterin weiß aus ihrer langjährigen Erfahrung: „Je näher man sich steht, desto weniger kann man helfen. Wir sind eine zusätzliche Stütze von außen.“ Und: „Gegen Trauer hilft nur trauern.“

„Deep Talk von der ersten Sekunde an“

Die Begleiterinnen machen die Erfahrung, dass Trauernde private Beziehungen im Freundeskreis nicht überlasten möchten. Im TrauerZentrum hingegen können sich über Themen austauschen, die sie sonst mit niemanden besprechen können. „Da ist keine Beziehung, die in die Brüche gehen kann“, sagt Britta Bosch. Die Seelsorgerin leitet eine Trauergruppe für junge Erwachsene. „‘Hier gibt es keinen Small Talk, sondern Deep Talk von der ersten Sekunde an‘, sagen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die jungen Erwachsenen kommen mit dem Ziel, dass sie den Verlust gut verarbeiten und für sich selbst sorgen wollen. Seit Corona ist die Selbstfürsorge viel mehr ins Bewusstsein gerückt“, so die Theologin. „Die Menschen gehen offener mit dem Thema um, so dass sie manche Stolpersteine in der Trauer erst gar nicht nehmen müssen“, beobachtet auch Sibylle Bossert. „Es gibt jedoch auch Trauerfälle, die ins Traumata gehen und dann ist eine Therapie nötig. In solchen Fällen vermitteln wir weiter“, sagt Juliane Löffler. Das TrauerZentrum kooperiert beispielsweise mit der psychologischen Beratungsstelle Ruf und Rat sowie der Caritas. Wenn Trauernde einen Angehörigen durch Suizid verloren haben, stellt das TrauerZentrum den Kontakt zum Arbeitskreis Leben her.

Mit den Lebkuchen im Supermarkt beginnt die Angst vor Weihnachten

Für die Trauernden ist häufig nicht der November, sondern die (Vor-)Weihnachtszeit und der Silvesterabend am schwierigsten. „Mit den Lebkuchen im Supermarkt beginnt die Angst vor Weihnachten“, erzählen die Trauerbegleiterinnen. Wie umgehen mit dem ersten Weihnachtsfest ohne den Partner? Wie ins neue Jahr starten, wenn ein geliebter Mensch fehlt? Was, wenn die bisherigen Ritualen nicht mehr umsetzbar sind? Sibylle Bossert erzählt den Trauernden dann häufig die Geschichte von Dietrich Bonhoeffer. Als seine Schwester starb, schnitt die Familie einen Zweig des Weihnachtsbaumes ab und legte ihn auf das Grab. Weihnachten wird nicht so vollständig sein wie zuvor und dennoch kann man eine Verbindung zum Verstorbenen herstellen. „Unsere Gedenkfeier findet bewusst am 3. Advent statt. In der Weihnachtszeit fehlt der Verstorbene besonders und man möchte ihm in dieser Zeit besonders nah sein“, berichtet Juliane Löffler.

Symbole und Rituale geben Halt

Die Trauerbegleiterinnen legen großen Wert auf Rituale und Symbolhandlungen. Eine Kerze anzünden, einen Textimpuls zu Beginn sprechen, Briefe schreiben mit Sätzen, die nicht gesagt wurden, einen Segensspruch für den Nachhauseweg mitgeben – all das sind Möglichkeiten, die das TrauerZentrum nutzt. Symbole und Rituale sind sowohl für Kinder als auch für Erwachsene wichtig, sei es ein Schiffchen, das sich auf die Reise machen darf oder ein Handschmeichler, an dem man sich bei schwierigen Situationen festhalten kann. „Halt verlangt Haltung“, sagt Juliane Löffler. „Ich bin mir meiner spirituellen Haltung bewusst und schaue darauf, was für den anderen wichtig ist.“ Im TrauerZentrum arbeiten fünf Hauptamtliche sowie 19 Ehrenamtliche. Alle haben umfangreiche Trauerbegleitungsausbildungen absolviert. Z

„Wir begleiten. Wir schieben nicht, wir ziehen nicht.“

Demnächst starten wieder Qualifizierungskurse für die Begleitung von Kindern, Jugendlichen und Familien sowie für Erwachsene. Den Begleiterinnen geht es darum, zuzuhören und für die Trauernden dazu sein. „Wir geben keine Ratschläge oder Tipps; wir stützen und halten. Die Menschen gehen ihren Weg, brauchen aber manchmal ein Geländer oder ein Licht am Wegesrand“, so Daniela Kanzleiter. „Wir begleiten. Wir schieben nicht, wir ziehen nicht. Unser Ziel ist, dass die Menschen sich wieder dem Leben zuwenden und ihre Selbstwirksamkeit stärken“, sagt Juliane Löffler. „Und wenn wir für die Trauernden überflüssig sind, haben wir eine gute Arbeit geleistet.“

Die Angebote des TrauerZentrums und weitere Informationen sind unter www.hospiz-st-martin.de/angebot/trauer abrufbar.

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