Das Paradies liegt direkt vor der Kirche St. Fidelis im Stuttgarter Westen. Der wunderbare Vorhof zur Kirche wird von der Gemeinde geschätzt und genutzt, nicht nur für den Ständerling nach dem Festgottesdienst am 6. Juli. Entstehen konnte der besondere Vorhof nur, weil der Bau von St. Fidelis in der damals sehr evangelischen Stadt Stuttgart an zwei Bedingungen geknüpft worden war: die Kirche sollte von der Seidenstraße aus nicht sichtbar sein und sollte überhaupt im Stadtbild nicht auffallen. Deshalb hat die Kirche St. Fidelis keinen Turm bekommen. Gebaut wurde das katholische Gotteshaus auch nicht direkt an der Straße, sondern ein Stück zurückgesetzt und damit wenig sichtbar, was Raum gab für das innerstädtische Paradies.
Blitzlichter aus 100 Jahren
„Es war spannend, in die Geschichte der Kirche und damit natürlich auch in die Geschichte der Gemeinde einzutauchen“, sagt Gabriela Hesselbach, die bis vor Kurzem Kirchengemeinderätin war. Das Amt hat sie nach 25 Jahren abgegeben; zuletzt hat sie mit viel Unterstützung von Gemeindemitgliedern die Blitzlichter erstellt. Darüber hinaus engagiert sich die 70-Jährige in dem kleinen Team, das jeden Dienstagabend und ab und zu auch sonntags Wortgottesfeiern in St. Fidelis leitet.
Geschenk einer Stuttgarter Katholikin
Dass die Kirche im Jahr 1925 geweiht werden konnte, ist dem Geschenk einer Stuttgarter Katholikin zu verdanken, die dem damaligen Vikar, Fidelis Erath, zwei Grundstücke vermacht hatte. Diese wurden getauscht, bis ein geeigneter Ort für den Bau gefunden war. „Es war ein bisschen wie beim Monopoly-Spiel, aber schließlich konnte St. Fidelis nach den Plänen von Clemens Hummel gebaut werden“, erzählt Gabriela Hesselbach.
Die Schönstatt-Schwestern, die Elisabethenfrauen und viel Kirchenmusik
Frauen waren auch später wichtig für die Kirche und die Gemeinde: Die Schönstatt-Schwestern siedelten sich schon 1926 in St. Fidelis an, leiteten viele Jahrzehnte das Pfarrbüro und den Kindergarten und brachten sich auch in die Schönstatt-Gruppe ein. Auch die Elisabethenfrauen prägten mit ihren Besuchen bei kranken und alten Gemeindemitgliedern und ihrem ehrenamtlichen Engagement das Gemeindeleben bis ins Jahr 2020. Musikalisch waren es anfangs zunächst vor allem Männer, die sich einbrachten: bereits 1935 wurde die Choralschola gegründet, die bis heute besteht. 1970 wurde dann die Schola Cantorum gegründet, 1972 schließlich der Sakralchor, bei dem auch Frauen mitsingen konnten. Entstanden ist 2012 mit dem „Klangraum st. fidelis“ ein kirchenmusikalischer Schwerpunkt, der seither zu vielen besonderen Konzerten einlädt.
Nach dem Wiederaufbau zweimal umgebaut
Die Kirche St. Fidelis wurde wie viele Stuttgarter Kirchen im Zweiten Weltkrieg zerstört. Stehen geblieben waren nach einem Angriff am 12. September 1943 die Betonbögen, die den Innenraum der Kirche bis heute prägen. Nach Kriegsende wurde die Kirche nach den Plänen des Architekten Hugo Schlösser wiederaufgebaut und am 4. November 1948 von Weihbischof Franz Joseph Fischer geweiht. Später folgten zwei größere Umbauten: 1965 wurde der Innenraum durch das Architektenpaar Rudolph und Maria Schwarz neu gestaltet, hinzu kamen beeindruckende Glasfenster und ein Kreuzweg von Georg Meistermann. Zuletzt grundlegend saniert wurde die Kirche St. Fidelis in den Jahren 2018 und 2019 durch das Stuttgarter Architekturbüro Schleicher/Ragaller.
Mit dem Spirituellen Zentrum an Ausstrahlung gewonnen
Seit Dezember 2019 ist St. Fidelis auch die Heimat des Spirituellen Zentrums station s, das Menschen anspricht, die Spiritualität und Stille suchen, aber eben nicht die klassischen Gottesdienstformen. „Als Gemeinde sehen wir das Spirituelle Zentrum heute als große Bereicherung an, weil wir sehen, dass Menschen in die Kirche kommen, die vorher nicht da waren“, sagt Gabriela Hesselbach. Und Pfarrer Stefan Karbach, der in der Gemeinde arbeitet, aber auch in der Leitung von station s ist, ergänzt: „Durch das Spirituelle Zentrum hat die Kirche St. Fidelis Ausstrahlung weit über das Gemeindegebiet hinaus. Viele Menschen kommen zudem, weil sie den hellen und weiten Kirchenraum schätzen.“
Zu St. Fidelis gehört seit 1989 auch die spanischsprachige Gemeinde Virgen de Guadalupe, die in der Kirche ihre Gottesdienste feiert. Einmal im Monat findet zudem seit mehr als 25 Jahren der Queer-Gottesdienst für schwule und lesbische Menschen in der Kirche im Stuttgarter Westen statt, die ersten Jahre ohne große Öffentlichkeit, inzwischen wird der Gottesdienst genauso beworben wie andere Gottesdienste auch.
Viele Geschichten in 100 Jahren
Beim Blick zurück auf 100 Jahre lassen sich noch viele Geschichten erzählen: die von Josef Steinhübl, der als karpatendeutscher Pfarrer und volksdeutscher Abgeordneter 1946 in der Tschechoslowakei zum Tode verurteilt worden war und nach 10 Jahren aus der tschechischen Gefangenschaft entlassen worden war, bevor er 1956 als Pfarrer in St. Fidelis seinen Dienst begann. Oder die Geschichte der Kirchenbänke, die im Oktober 2018 aus der Kirche ausgebaut und auf den Weg nach Kisongo in Tansania geschickt worden waren, wo sie im Mai 2019 ankamen und in eine Kathedrale eingebaut werden konnten. Oder die Geschichte des Christus-Korpus aus Holz, der in den 1970er Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion aus der Schweiz geholt worden war und zu dem Gabriela Hesselbach trotz intensivster Suche keinerlei Dokumente finden konnte.
Gemeinde muss und musste immer auch Abschied nehmen
Die Gemeinde St. Fidelis musste und muss von vielem Abschied nehmen. Die Schönstatt-Schwestern sind nicht mehr da, die Elisabethenfrauen haben sich altershalber aufgelöst, die Choralschola kommt mit viel weniger Sängern aus. „Dennoch ist die Kirche auch nach 100 Jahren noch Heimat für viele Menschen, nicht nur aus der Gemeinde“, sagt Gabriela Hesselbach.
Infos zum Jubiläumsprogramm
Start ist am Donnerstag, 3. Juli, um 19 Uhr mit einem Genussabend mit Speisen, Musik und Texten. Anmeldungen: beim Pfarrbüro unter E-Mail stfidelis.stuttgart@drs.de.
Am Freitag, 4. Juli, um 19 Uhr folgt ein Konzert mit dem Vokalensemble „SingerPur“, das vom Kirchenmusikalischen Zentrum Klangraum st.fidelis organisiert wird. Der Eintritt beträgt 25 Euro. Karten gibt es im Haus der Katholischen Kirche, Königstraße 7, oder über das Ticketportal reservix.
Am Samstag, 5. Juli, startet um 15 Uhr die spirituelle Raumerkundung mit dem Architekten Dominik Schleicher und dem Künstler Martin Bruno Schmid auf Einladung von station s. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, der Eintritt ist frei.
Ebenfalls am Samstag, 5. Juli, um 18 Uhr lädt die spanischsprachige Gemeinde Virgen de Guadalupe zu einem Abendgebet.
Am Sonntag, 6. Juli, lädt die Gemeinde um 10 Uhr zum Jubiläumsgottesdienst in die Kirche mit anschließendem Ständerling im Paradies.