Als Yvonne Schellhorn aufgrund einer Erkrankung ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, sucht sie nach einer sinnvollen und erfüllenden Tätigkeit und kommt so 2015 zur Organisierten Nachbarschaftshilfe. Seitdem unterstützt sie Seniorinnen und Senioren in ihrem Alltag, begleitet sie zum Einkaufen, geht mit ihnen spazieren, hilft bei Überweisungen oder hört einfach zu. „In meiner akuten Krankheitsphase habe ich von verschiedenen Stellen so viel Fürsorge bekommen, dass ich etwas zurückgeben wollte“, so Schellhorn. Aktuell betreut sie drei Klientinnen, insgesamt bis zu 25 Stunden im Monat.
Eine von ihnen ist Theresia, die über ihre Gemeinde von dem Angebot erfahren hat und die regelmäßigen Treffen mit Yvonne Schellhorn genießt. „Meine Kinder sind ausgelastet und haben nicht so viel Zeit. Es ist schön, noch jemanden zu haben, mit dem man reden kann“, so die 87-Jährige. Viele ihrer Klienten seien einsam und möchten mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, berichtet Schellhorn. Deswegen gehe sie auch gerne mal mit ihnen Kaffee trinken oder Eis essen, mit einer Klientin war sie sogar schon im Schwimmbad. „Lange konnten wir allerdings nicht bleiben, da es der Dame bald zu kalt war“, erzählt Schellhorn und lacht.
„Selbst mit einer Stunde in der Woche kann man helfen“
Die Organisierten Nachbarschaftshilfen im Katholischen Stadtdekanat Stuttgart, getragen von Kirchengemeinden, stehen für eine alltagsnahe und unkomplizierte Hilfe. Vor allem ältere, kranke oder einsame Menschen profitieren von diesem Angebot. Aber auch Angehörige von Pflegebedürftigen oder Familien mit Kindern kommen immer wieder in Situationen, in denen sie alleine überfordert sind und kurzzeitig Hilfe benötigen.
Martin Komm, Einsatzleiter der Nachbarschaftshilfe St. Georg, koordiniert die Einsätze von derzeit 20 Ehrenamtlichen in 32 Haushalten im Stuttgarter Norden. „Die Nachfrage ist höher als das Angebot. Es gibt immer wieder Engpässe und wir haben eine Warteliste“, berichtet Komm. Dabei seien die Einstiegshürden bewusst niedrig: Wer helfen möchte, führt mit ihm ein Erstgespräch, absolviert eine eineinhalbstündige Präventionsschulung und kann dann – mit erweitertem Führungszeugnis – loslegen. „Selbst mit einer Stunde in der Woche kann man Menschen helfen“, betont Komm. Die Motivation sollte nicht das Geld sein, dennoch gibt es eine Aufwandsentschädigung und die Fahrtkosten werden erstattet.
Erfahrungen, die berühren und bleiben
Auch für Yvonne Schellhorn sind es vor allem die persönlichen Erlebnisse, die sie antreiben. „Ich denke immer noch an meine erste Klientin zurück, die ich etwa drei Jahre lang betreut habe. Sie ist mir sehr ans Herz gewachsen und mit 95 Jahren leider verstorben - ich war auf ihrer Beerdigung. Die Gespräche mit ihr begleiten mich bis heute.“ Ihre Einsätze sind so vielfältig wie die Menschen selbst und sie wird immer wieder überrascht. Eine Klientin zum Beispiel sang für sie zum Geburtstag ein Lied und trug ihr ein Gedicht vor. Für die Helfenden sei die Nachbarschaftshilfe eine bereichernde Erfahrung, bei der man viel zurückbekomme. „Die Klienten zeigen ihre Freude und Dankbarkeit und ich habe schon so viel von ihnen gelernt.“
Nachbarschaftshilfe weiterdenken
In unserer älter werdenden Gesellschaft wächst der Bedarf an Unterstützung im Alltag. Immer mehr Menschen möchten so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben. Die Organisierte Nachbarschaftshilfe kann hier entscheidend entlasten. Um sie zukunftsfähig zu gestalten, haben die Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Fachverband Zukunft Familie e.V., fünf Regionen des Diözesancaritasverbandes Rottenburg-Stuttgart e.V. sowie der Caritasverband für Stuttgart e.V. im Januar 2025 das Projekt „Nachbarschaftshilfe neu denken“ gestartet. Im Mittelpunkt stehen dabei die Erweiterung des Angebotsportfolios, die Förderung von Neugründungen, die Stärkung des Ehrenamtsmanagements und die Prüfung alternativer Trägerschaftsmodelle.