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„Wir reden nichts schön und versuchen weiter, gute Arbeit zu machen“

Im Sommer veröffentlichen die beiden großen Kirchen ihre Statistiken. Die Zahlen sprechen auch in Stuttgart eine deutliche Sprache: Im vergangenen Jahr sind 2622 Frauen und Männer aus der katholischen Kirche ausgetreten, das sind so viele wie noch nie in einem Jahr. „Das entspricht etwa einer größeren Gemeinde, die uns verloren gegangen ist“, sagt Stadtdekan Christian Hermes. Noch immer sind viele Menschen schockiert von den Ergebnissen der von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie, andere sind verärgert über die Unbeweglichkeit des Vatikans, hinzu kommt die voranschreitende Säkularisierung der Gesellschaft. „Die Austrittszahlen zeigen uns, wie wichtig es ist, den Synodalen Weg konsequent weiter zu gehen und Veränderungen in der Kirche anzustoßen“, so der Stadtdekan.

136 646 Menschen haben Ende des vergangenen Jahres der katholischen Kirche in Stuttgart angehört, das sind etwas mehr als 22 Prozent der Stuttgarter Bevölkerung. Ausgetreten sind im vergangenen Jahr 2622 Katholiken (das entspricht 1,9 Prozent der Kirchenmitglieder). Im Jahr 2018 waren es noch 2116 Austritte gewesen. „Wir reden die Zahlen nicht schön, aber wir lassen und von ihnen auch nicht entmutigen. Den Prozess der Entkirchlichung können wir nicht aufhalten, was wir aber können, ist vor Ort eine gute Arbeit machen, für die Menschen da sein und uns in die Stadtgesellschaft einbringen“, sagt Christian Hermes.

Den Synodalen Weg konsequent weiter voranschreiten

Auf Bundesebene hält er es für wichtig, den Synodalen Weg konsequent weiter voranzuschreiten, unabhängig davon, welche Signale aus Rom kommen. Der Stuttgarter Stadtdekan ist selbst Vertreter in der Synodalversammlung und davon überzeugt: „Wir können nur Vertrauen zurückgewinnen, wenn wir zeigen, dass Kirche zu Selbstkritik und zu Veränderungen in der Lage ist, beispielsweise bei den kritischen Fragen nach Macht und Gewaltenteilung, der Rolle der Frauen, der Sexualmoral und der Weiterentwicklung der priesterlichen Lebensform.“ Auch wenn mit schnellen Veränderungen in der Weltkirche nicht zur rechnen sei, müsse der Synodale Weg Vorschläge erarbeiten, welche Themen und Probleme von den Bischöfen selbst oder von der Bischofskonferenz entschieden werden könnten und welche Rom und der Weltkirche vorbehalten bleiben müssten.

Eine Kirche sein, die die Menschen in der Großstadt anspricht

Für die Stuttgarter Stadtkirche gibt Christian Hermes die Devise aus: „Wir gehen weiter unseren Weg und versuchen, eine Kirche zu sein, die die Menschen in der Großstadt anspricht, die sich einmischt, die die Stadtgesellschaft mitgestaltet und zeigt, dass die christliche Botschaft auch im Jahr 2020 noch höchst aktuell ist.“ Um wieder als vertrauenswürdig wahrgenommen zu werden, dürfe die Stuttgarter Kirche bei der Prävention gegen sexuellen Missbrauch auf keinen Fall nachlassen. „Wir schulen unsere Mitarbeiter und die Ehrenamtlichen weiter und wir lassen Experten von außen auf unsere Präventionsarbeit schauen. Gegenüber Tätern dürfen wir keinerlei Toleranz zeigen und auf keinen Fall die Institution vor die Opfer stellen“, so der Stadtdekan. Nur wenn die Menschen sicher sein könnten, dass vor Ort in Stuttgart alles nur Mögliche zum Schutz der Kinder getan werde, könne die Kirche Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Berufseinsteiger kehren der Kirche verstärkt den Rücken

Besonders hoch sind die Austrittszahlen bei jungen Erwachsenen zwischen 25 und 35 Jahren, die gerade in den Beruf einsteigen und die in ihrem Alltag keine Berührung mit Kirche haben, die keinen Kita-Platz brauchen, kein Kind taufen lassen wollen und noch keine Angehörigen haben, die die Unterstützung der Sozialstation brauchen. Bei jungen erwachsenen Männern ist die Austrittswahrscheinlichkeit drei- bis viermal höher als in anderen Altersgruppen. „Die jungen Leute schauen auf ihren Lohnzettel und fragen sich, warum sie jeden Monat so viel Kirchensteuer zahlen sollen.“ Um gegenzusteuern, entwickelt die katholische Kirche in Stuttgart stadtweit Angebote für junge Erwachsene, die neu nach Stuttgart kommen oder schon länger hier sind und Anschluss suchen. In der Gesamtkirchengemeinde Mitte hat sich bereits eine Gruppe junger Erwachsener zusammengefunden, die sich trifft, um gemeinsam zu pilgern oder in Coronazeiten per Videokonferenz gemeinsam zu spielen.

Spirituelles Zentrum spricht Menschen an, die auf der Suche sind   

Auch an vielen anderen Stellen sind Veränderungen auf den Weg gebracht. Das Spirituelle Zentrum station s macht Angebote für Menschen, die die auf der Suche nach Sinn und Tiefe in ihrem Leben sind. Die Workshops, Kurse, Meditationen und Veranstaltungen sind gut nachgefragt, das zweite Programm erscheint im September. Altbewährte spirituelle Formen werden in station s genauso angeboten wie neue experimentelle Formate  „Wir sehen, dass viele Menschen auf der Suche nach etwas Höherem jenseits ihres Alltags sind, dieses aber in einem sonntäglichen Gottesdienst nicht mehr finden. Auf dieses Bedürfnis der Menschen haben wir mit dem Spirituellen Zentrum reagiert und die Nachfrage gibt uns recht“, sagt Stadtdekan Christian Hermes.

Tod, Trauer und Abschiednehmen gehören zum Glauben dazu

Noch in Planung ist das Zentrum für Trauerpastoral, das in unmittelbarer Nähe und in enger Verbindung mit dem Hospiz St. Martin in den nächsten Jahren in Degerloch entstehen soll. „Wenn es um Sterben und den Tod geht, brauchen Menschen Unterstützung und sind offen für Kirche. Trauer, Tod und Abschiednehmen gehören zu unserem Glauben dazu. Wir haben die Kompetenz seit Jahrhunderten und können helfen, wenn es um Trauer und Abschiednehmen geht“, erklärt Stadtdekan Christian Hermes. In dem Zentrum für Trauerpastoral, das in der Gemeinde Mariä Himmelfahrt angesiedelt sein wird, sollen neue liturgische Formen entwickelt werden, weitere Trauergruppen gestaltet und Beratungen für Menschen angeboten werden, die selber trauern oder beruflich mit vielen trauernden Menschen in Berührung kommen.

 

Katholische Kirche Stuttgart 2019 in Zahlen:

  • Gesamtzahl Katholiken Ende 2019: 136 646 (Vorjahr 139 842)
  • Austritte: 2622 (im Vergleich zu 2116 im Vorjahr)
  • Wiederaufnahmen: 34 (55 im Vorjahr)
  • Eintritte: 12 (26 im Vorjahr)
  • Taufen 892 (1015 im Vorjahr)
  • Erstkommunionen: 870 (893 im Vorjahr)
  • Firmungen: 785 (476 im Vorjahr)
  • Trauungen: 159 (164 im Vorjahr)
  • Bestattungen: 807 (820 im Vorjahr)

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